Die Sonne lädt an diesem Tag dazu ein, sich auf Marion Winters Terrasse niederzulassen. Mit ihr sitzen da Sinhai Winter, ihre Tochter, sowie Annette Heidrich und Johanna Feßler, die gemeinsam den Frauenbaum e.V. gegründet haben. Die Frauen taten sich zusammen, um ihr Wissen und ihre Kompetenzen zu bündeln und damit andere zu unterstützen. Das war im Frühjahr 2020, als Corona unser aller Leben veränderte und zunächst verhinderte, dass die Frauen mit Seminaren durchstarten konnten.
„Unser Ziel ist es, Frauen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen,“ sagt Marion Winter. „Mit der Zeit wollen wir ein größeres Netzwerk bilden, damit Frauen im Landkreis und auch darüber hinaus wissen, wohin sie sich wenden können, wenn sie Hilfe brauchen.“ So eine Stelle gab es bis dato im Landkreis Rottal-Inn nicht. Auch ein Frauenhaus oder eine Notfallunterkunft sucht man hier vergebens, obwohl es die Möglichkeiten dazu gegeben hätte, wie die Vorständin erzählt. Es kam nicht zustande, obwohl man durchaus nicht sagen kann: „Bei uns braucht’s sowas nicht.“ „Natürlich gibt es Gewalt und sexuelle Übergriffe auch im Rottal-Inn-Gebiet,“ sagt Johanna Feßler mit hochgezogenen Brauen. Ohnehin groß genug sei die Hemmschwelle, sich überhaupt Hilfe zu suchen – und wenn die Betroffenen dazu bereit sind, sollte es doch so einfach wie möglich sein, Anlaufstellen zu finden.
Als ausgebildete Rechtsanwältin kann Johanna Feßler mit ihrer Expertise unterstützen, als ehemalige Betriebswirtin steht Annette Heidrich den Frauen in finanziellen Angelegenheiten mit Rat und Tat zur Seite. Zudem engagiert sie sich schon viele Jahre für Flüchtlinge, weshalb ihr außerdem das Aufgabenfeld Integration und Migration zukommt. Sinhai Winter ist Psychologin und kann die Frauen mit ihrer Erfahrung auch in diesem Bereich unterstützen. Und Marion Winter weiß als selbstständige Unternehmerin, wie sich Frauen eine eigene Existenz aufbauen oder sich im Arbeitsleben zurechtfinden können. Mit dabei ist auch noch Mia Goller, die ihr Netzwerk in der Region zur Verfügung stellt und die Pressearbeit übernimmt.
Die On-Off-Regelungen der Corona-Zeit haben die Anfänge des Vereins nun über Monate erschwert, mittlerweile ist das neue Seminarprogramm auf der Homepage sowie auf Facebook zu finden. Die Themen reichen dabei von rechtlichen Fragen über Gewaltprävention, sexuellen Übergriffen, Wiedereingliederung, Online-Partnersuche bis hin zu Seminaren für Vorgesetzte, damit diese mit sexuellen Übergriffen innerhalb ihrer Firma gerecht werden. Dazu soll ein Handwerkerkurs für Frauen stattfinden. „Frauen brauchen keine Männer zum Reifenwechseln oder Lampen montieren,“ ist sich Johanna Feßler sicher.
Geplant sind außerdem Vorträge zu frauenrelevanten Themen, dazu offene Gesprächsrunden. Aktuell setzen die Vereinsgründerinnen auf Social Media und Presse, um einen höheren Bekanntheitsgrad zu erreichen und ihr Netzwerk zu erweitern. Viel Aufmerksamkeit bekam der Verein durch seinen großen Einsatz in Sachen Ukrainehilfe: bislang haben 20 selbst organisierte Hilfstransporte mit freiwilligen Fahrerinnen verschiedenste Güter in die Ukraine gebracht. Es wurden stets gezielt Dörfer beliefert und immer gab es Rückmeldung, dass die Spenden direkt bei den Menschen ankamen. Nun ist eine Veranstaltung für Spender/Spendnerinnen und Fahrer geplant, um transparent zu zeigen, dass und wo die Spenden angekommen sind. Dabei werden die Fahrerinnen über ihre Fahrten berichten.
Marion Winter zegt sich zufrieden, wenngleich in Sachen Frauenhilfe noch nicht viel umgesetzt werden konnte: Der erste Schritt ist getan – ein wichtiger Schritt, wie sie findet. „Mir ist es wichtig, Dinge anzustoßen. Die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Frauen muss gestärkt werden. Was selbstverständlich klingt, hat aber gerade auch in der Region viel Nachholbedarf.“ Johanna Feßler sieht das ebenso: „Die fehlende Wahrnehmung von Frauen in der Öffentlichkeit ist ein gesellschaftliches Problem. Die klassische Rollenverteilung findet immer noch im Großteil der Bevölkerung statt. Auch die Behörden müssen endlich sensibler werden und Frauen stärken.“ Dass das oft ein Problem ist, weiß auch Annette Heidrich aus Erfahrung: „Ich habe mich immer schon für Frauen eingesetzt, weiß, dass Frauen oft nach Trennungen Unterstützung brauchen. Sei es beim Ausfüllen von Formularen, beim Aufzeigen von Möglichkeiten oder einfach einem offenen Ohr.“ Dieses offene Ohr hat Sinhai Winter unter anderem bei ihrer Arbeit mit Patientinnen und Patienten auf der transkulturellen Station einer Klinik für phsychosomatische Erkrankungen. Durch Studium und Arbeit weiß sie: „Viele Frauen sind nach wie vor belastet durch Expartner, nicht nur, wenn Kinder im Spiel sind. Und übergeordnet finde ich den Umgang mit Sprache sehr wichtig. Das ist wegweisend für ein gutes, gleichberechtigtes Miteinander.“
Willkommen im Frauenbaum e.V. sind alle, das wollen die Frauen betonen – natürlich auch Männer, die mit ihrer Sichtweise und Expertise dazu beitragen können, dass Gleichstellung ein Stück mehr zur Realität wird. Wer sich angesprochen fühlt, darf sich jederzeit melden bei Marion Winter, kontakt@frauenbaum.de.
Im Rahmen des Projekts „Ein Vereinsnetzwerk in und um Arnstorf“ des Förderprogramms “Engagiertes Land” der DSEE (Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt).